DIE DRITTTE KAMMER – DIE VOLLENDETE SPECULATION FUEHRT ZUR NATUR ZURUECK (2)
Der "Hentzenpark" - Eine Rekonstruktion seiner Geschichte in anekdotischen Einzelbildern

Der viktorianische Landschaftsgarten

Das Gelände der Parkanlage ist im 18. Jahrhundert vermutlich Teil eines großen Bauernhofes, umgeben von Flachweingärten, da die fruchtbaren Rheinauen damals eher dem Weinanbau dienen als dem Ackerbau. Zwischen 1884 und 1895 legt die Witwe Klara von Recklinghausen, geborene Langen, aus Köln das Anwesen an. Sie kauft mehrere Kleinparzellen aus den "Flachweingärten", die auch einen Teil der Durchgangsstraße "Wickchen" zu anderen Privatgärten miteinschließen. Um der Bevölkerung diesen Durchgang weiterhin zu ermöglichen, muss Klara von Recklinghausen eine neue Straße anlegen lassen, die auch heute noch den Park durchzieht: die Weingärtenstraße. So schafft sie zusammen mit dem Wickchen eine ausreichend große Fläche, auf der sie den von ihr geplanten Landschaftsgarten bauen lassen kann.

Die historische Gartenanlage ist nach damaligem Zeitverständnis im ausgehenden 19. Jahrhundert als viktorianischer Landschaftsgarten eine modisch angemessene Entscheidung. Der Hauptgedanke des viktorianischen Landschaftsgartens geht auf die Schriften des Gartenkünstlers Humphrey Repton, der 1818 stirbt, zurück. Sinngemäß sagt er, dass der Garten ein künstlerisches und nicht ein Produkt der Natur sei. Die Gefühlskultur des 18. Jahrhunderts wird mit ihm überwunden. Guter Geschmack steht an erster Stelle vor dem malerischen Effekt. Der Verstand und nicht die Sinne sollen verführt werden. Als erster gibt er konkrete Beispiele für architektonisch-geometrische Elemente in Hausnähe, während im Park weiterhin das Prinzip der Naturnachahmung gilt, die bis zum "Nichtvorhandensein eines Stils" (Loudon) getrieben sein kann. Repton‘s Gestaltungsregeln liefern die Grundlagen für die eklektizistische Gartengestaltung des 19. Jahrhunderts und speziell die viktorianische Ära. Die Idee des Landschaftsgartens des 18. Jahrhunderts wird im 19. Jahrhundert erweitert durch die Pflanzung exotischer Bäume, die jetzt in der Zeit des Kolonialismus Ausdruck von kontinentübergreifenden Geschäften sind.

Der viktorianische Landschaftsgarten, den sich Klara von Recklinghausen anlegen läßt, besteht aus zwei ungefähr gleich großen Teilen von jeweils ca. 1,5 ha. Die Seite zum Rhein und dem Leinpfad, einem ehemaligen Treidelweg, hin gelegen wird die eigentliche Gartenanlage, eine Hochterrasse mit wenigen, als Solitäre gepflanzten Exoten, großen Rasenflächen, einem Hainbuchenhecken umstandenen Rosarium, diversen Beetformationen und einem geschwungenen Wegesystem aus Lavaasche. Von dieser östlichen Anlage, über die nur anhand von historischem Wissen über den viktorianischen Landschaftsgarten und wenigen kärglichen Informationen spekuliert werden kann, stehen heute noch u.a. der Mammutbaum, die Blutbuchen, Thujas, Eiben, Linden, Bergahorn, Platanen und der Tulpenbaum. Inmitten dieser Anlage wird der kubusförmige Landsitz "Haus Rolandsau", der einen für das späte 19. Jahrhundert typischen Eklektizismus aus diversen Stilen aufweist, errichtet. Für die Kutschen der Familie wird eine Garage seitlich neben den Haupteingang und auf die anderen Seite eine Remise gebaut. An der südlichen Gartenmauer entsteht das Gärtnerhaus und ein Gewächshaus sowie ein daran anschließender Obstgarten werden nach Norden hin angelegt. Zur Weingärtenstraße hin schließt eine sauber geschnittene Weißdornhecke das Anwesen ab. Die andere Seite zur Mainzer Straße hin gelegen ist auch schon zur Zeit ihrer Errichtung als eher waldartiges Gebiet angelegt, das allerdings damals noch von einem Wegenetz durchzogen wird – ganz dem Prinzip der Naturnachahmung des Landschaftsgartens verpflichtet. Klara von Recklinghausen verbindet beide Gartenteile mit einer Basaltsteinbrücke über den hinteren Teil der Weingärtenstraße, die sie bauen läßt, um ihren Besitz beim Wechsel von einer auf die andere Seite des Parks nicht verlassen zu müssen. Diese Brücke hat auf beiden Seiten hügelartige, mit Ziegelsteinmauern befestigte Widerlager, die auch mit Bäumen und Büschen bepflanzt sind. In ihren Gewölben wird auf der Rheinseite Wintergemüse hinter verschlossener Tür gelagert und auf der westlichen Seite ist eine Art offene Grotte eingelassen, ausgekleidet mit Lavagestein vom Rodderberg und ausgestattet mit einer Steinbank. Die skurrile Brücke existierte recht lange und die Reste der Widerlager wurden erst vor ein paar Jahren wegen Einsturzgefahr abgerissen.