DIE DRITTE KAMMER – PLATTENWERK DESSAU
Auszüge eines Gesprächs von Reinhard Krehl (R.K.), Künstler, Leipzig,
mit Bittermann & Duka (B&D), Künstler, Berlin, vom 20.12.2001



Das Gespräch bezieht sich auf einen gemeinsamen Spaziergang auf dem Gelände des ehemaligen Plattenwerkes Dessau-West im August 2001 mit Caroline Bittermann, Peter Duka, Katja Heinecke und Reinhard Krehl.


R.K.
Wißt ihr, daß der Stahlbeton von Joseph Monier, einem französischen Gärtner, erfunden wurde? Das Plattenwerk und der Garten haben also eine direkte Beziehung zueinander. Aber dieses zerfallene, zerstörte Plattenwerk, ist das denn wirklich ein Gartenort? Garten birgt ja so was arkadisches - kann das Arkadien sein oder ist es eher Utopia?

B&D:
Es ist auf jeden Fall ein Ort von einem vergangenen utopischen Ansatz, weil dort architektonische Details konstruiert wurden, die in DDR-Zeiten zu Gebäuden zusammengefügt wurden, die zunächst eine neue Gesellschaft errichten sollten, nach ganz idealistischen Vorstellungen. Die Plattenbauten waren zumindest zu Beginn eine Manifestation dessen – dieser dann verstaatlichten Ideale. Das Plattenwerk ist ausserdem ja eine Ruine, eine moderne Ruine. Und wenn man den Garten als eine Schnittstelle von Natur und Kultur betrachtet, dann könnte die Ruine ein Sinnbild davon sein. Die Ruinenmetaphorik ist ja in historischen Gartenphasen Ausdruck eines bestimmten gesellschaftlichen Zustands gewesen, meist ein Memento Mori oder ein Ort mit pittoresken Eigenschaften – was uns unter Malerei-Aspekten dann wieder besonders interessiert - , ein Ort des funktionsfreien Übergangs, also auch ein Sinnbild für das "Offene”. D.h. das Plattenwerk hat in seinem ruinierten Zustand diese Qualitäten einer undefinierten Lücke, die optimal als Projektionsfläche für einen Garten funktioniert.

R.K.:
Aber ein Garten wird ja eigentlich gehegt und gepflegt, klassischer Weise.

B&D:
Das ist eine ideologische Entscheidung, ob man einen Ort sich selbst überlässt, und dann als Garten definiert oder ob man in ihm menschliche Eingriffe vornimmt, die ihn dann formal zum Garten machen. Vielleicht wäre das Plattenwerk ein Garten, den wir nur durch eine Behauptung dazu machen. Vielleicht wäre es sogar in Wirklichkeit möglich, dort einen Garten zu entwerfen, weil die Dekonstruktion von so einem Riesending unheimlich zeit- und geldaufwendig wäre. Ein Garten wäre unter der Bedingung großer definitorischer Freiheit eine viel interessantere Lösung für diesen Ort.

R.K.:
Heißt das, in diesem "vielleicht" steckt drin, daß ihr keinen Anspruch auf Realisierbarkeit stellt? In eurem Werk wird das ja immer wieder deutlich, indem ihr konkrete Realitäten auf eine bildnerische Ebene abstrahiert und dort in eine andere, mögliche Realtiät transferiert, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen, ist eine Realisierung nicht notwendigerweise das angestrebte Ziel . Ist das hier auch so ein Ort, wo so eine Bedeutungsbewegung gelingen könnte?

B&D:
Also wir finden schon, daß dieses Plattenwerk, als Restbestand einer Utopie oder eher als Verballhornung eines utopischen Gedankens ein guter Boden für einen Garten wäre - zunächst mal rein inhaltlich gedacht. Außerdem haben uns Betonbauten immer schon gefallen, ob das jetzt Bunker, Industrieanlagen oder Gartengebäude sind, also die Faszination dafür, speziell für verwitterten Beton, der von Moosen und Flechten überzogen ist, als etwas Erd –und Steinnahes, ist gerade auch im Augenblick bei unserem neuesten Projekt ein wichtiges Thema.
Daher können wir uns durchaus vorstellen, uns für dieses Industrie-Areal einen Garten auszudenken und ihn dann bildnerisch zu bearbeiten. Dazu hat natürlich jeder einen anderen Zugang. Ich finde aber, daß es auch zu eurer Arbeitsweise sehr gut passen würde, daraus einen Garten zu machen. Wir blieben ja an diesem schönen Tag nicht ohne Grund vor jenem Becken, in dem sich Regenwasser gesammelt hatte, gemeinsam so lange stehen. Darin hatte sich ein wirklich lebendiges Biotop aus Algen, Molchen und Blutegeln zwischen überwucherten Stoßdämpfern und bemoostem Styropor gebildet. Da hatten wir ja alle sofort das Gefühl, als könnte das – von seiner Wichtigkeit her gesehen - das neue Gartenzentrum sein, ganz klassisch wie im Hortus Conclusus..

R.K.: Für mich in meiner Arbeit ist es ja so, daß wir oft Orte suchen, die eine zeitliche und räumliche Unschärfe in sich bergen. Und mit unseren mobilen Gärten3 versuchen wir genau diese Begrifflichkeit zu verdeutlichen, damit hinterfragen wir die scheinbare Realität der Dinge. Und dieses begreifen wir dann als Garten - als Gartenmodell.

B&D:
Da du gerade das Wort Modell verwendet hast: Ich denke, - weil wir auch Modellwelten konstruieren, die wir dann allerdings immer im Bild darstellen - natürlich bauen wir auch Modelle, aber das Bild ist immer der erste Ort, an dem wir ein Modell konstruieren - ,daß diese ganze Begegnung und diese Auseinandersetzung, die wir im Plattenwerk geführt haben, auf dem Boden von Gedankenmodellen steht und, daß das der Ausgangspunkt war, an dem wir überhaupt ins Gespräch gekommen sind. Das Plattenwerk hat ja Fragen aufgeworfen, was könnte man daraus machen, wie könnte man es nutzen, oder was ist es überhaupt für ein Ort – die wir dann versucht haben modellhaft zu beantworten? Wir haben ja erst mal nur gewusst, daß uns etwas dort hinzieht, und daß es uns anhebt. Und daß dieses Anheben, gewissermaßen der Anlaß war, um über die Modellhaftigkeit von Orten nachzudenken.

Übrigens "Modellhaftigkeit”, da ist ja Dessau ein interessantes Feld. Auf der einen Seite Wörlitz, wo der erste Englische Landschaftsgarten des Kontinents, in dem zum Beispiel auch Landwirtschaft betrieben wurde, entstanden ist - quasi ein Modellgarten für frühe Formen demokratischen Denkens. Und dann das Bauhaus, das von Weimar nach Dessau gegangen ist, und damit die Wendung von einem eher auf die Wiener Werkstätten bezogenen Begriff, hin zu einer Verbindung mit der Industrie vollzogen hat, ein Modellansatz, der ja maßgeblich Geschichte gemacht hat – wie ihr es ja selbst sehr gut wißt. Und dann eben diese Plattenbauten, das sozialistische Modell, das man durchaus ernst nehmen sollte, was sich aber hier im Plattenwerk eher in seinem Scheitern - sozusagen in seinem schönsten Scheitern - darstellt.

R.K.
In Gedanken sehe ich uns wieder um dieses kleine Wasserbecken rumstehen und auf den Schrott starren, durch das ölgetränkte Wasser hindurch. Es hatte eine Wirklichkeit und eine Wirksamkeit und beides kommt nicht in unmittelbarer Weise zusammen, sondern beides muß erst irgendwie zusammen gebracht werden.

B&D
Wir sind da sozusagen die Katalysatoren für dieses Zusammenkommen. Durch unseren reflexiven Blick, den wir jetzt nach außen, z.B. in Form dieses Gespräches, senden, kommt dann auf einmal diesem verrosteten Stossdämpfer, der mit seinem Algenpelz eine neue, uns anregende Form bekommen hat, Beachtung zu. Diese Beachtung, die man diesem verschollenen, verpuppten Alltagsgegenstand entgegenbringt, ist dann eben dieses poetische Moment, was ihn aus seiner Vergessenheit und seinem als Müll abgelagerten Sein heraushebt und ihn in einen neuen Bedeutungszusammenhang setzt. Und so ist das ganze Becken, ja eigentlich das gesamte Werk, ein Ort der Vergessenheit, den wir durch unseren Blick wieder aus dieser Versunkenheit hervorheben und den wir zunächst nur durch unsere Gedanken in eine andere, vorher nicht vorstellbare Wirklichkeit überführen.