Peter Arlt/Bittermann & Duka/ifau

TARNEN & TÄUSCHEN
Operative Analyse/Getarnte Aktion/Angetäuschte Bildbilanz

Beitrag zum Workshop "Politische Landschaft"
(22. - 29. September 2000, MAK, Köln)


Um von einer „Tarnung oder Täuschung“ zu sprechen, bedarf es dreier Figuren: dem Vorbild - dem Nachahmer - und dem Signalempfänger. Die Identität des Vorbilds besteht aus einer gewissen Menge an Informationen, die die Umgebung von ihm erhält. Der Nachahmer wählt aus dieser Menge Elemente aus, um zumindest die Oberfläche dieser Identität zu imitieren und von deren Vorteilen zu profitieren. Der Signalempfänger nimmt diese oberflächlichen Zeichen auf und läßt sich über die Identität des Nachahmers täuschen, indem er meint, das Vorbild vor Augen zu haben.

Tarnungen und Täuschungen dienen zum einen dem eigenen Schutz, zum anderen werden sie zur Entwicklung von Strategien zur Manipulation bis hin zur Anwendung von Gewalt im Verborgenen eingesetzt. Tarnen und täuschen können sowohl mit dem expliziten Zeigen von Formen und Farben zu tun haben ("Warntracht"), als auch mit dem Verschwinden jeglicher Kontur, was eine perfekte Anpassung an die Umgebung zur Folge hat.

Der Beitrag der Gruppe "Tarnen&Täuschen" zum Workshop "Politische Landschaft" ist "Manövern" gewidmet, die bestehende Raumgrenzen und Verhaltensmuster anlösen und durch Überlagerung zu neuen Schnittmengen führen. Ein solches Manöver ist immer dann erfolgreich, wenn räumlich-soziale Umstände nach deren Untersuchung zu einer Form gewandelt werden, die eine Handlungsfähigkeit im entsprechenden Kontext ermöglicht. Durch die Handlung können neue Werkzeuge generiert werden, welche die während der Analyse erkannten Zusammenhänge des ausgewählten Ortes als konzentrierte Informationen enthalten.

Die Gruppe setzt sich aus drei Kompetenzbereichen (Architektur/Soziologie/Kunst) zusammen. Daraus folgt eine Gliederung des Workshops in drei Schritte. Der erste Schritt dient der "Operativen Analyse", der zweite der "Getarnten Aktion" und der dritte der "Angetäuschten Bildbilanz".

Operative Analyse

Im ersten Schritt, der "Operativen Analyse", wurde die These untersucht, ob Tarnung und die Methoden ihrer Herstellung die gleiche Herangehensweise und Informationsgrundlage benötigen wie das Erzeugen politischer Handlungsfähigkeit (= die Bildung Politischer Landschaften). Voraussetzung für gelungene Tarnungen ist die spezielle Kenntnis des Einsatzortes und die Analyse der Schnittstellen dieses Ortes, um aus den Extrakten eine neue, handlungsfähige Form zu generieren (die operative Form). Diese Form ist in der Lage, (temporäre) Verknüpfungen innerhalb heterogener Systeme /Räume zu erzeugen. Im Vergleich dazu müssen für politische Handlungsfähigkeit kulturelle, geistige und ideelle Gemeinsamkeiten offengelegt und verknüpft werden, um für eine Zeit oder ein Ziel handlungsfähige Plattformen (operative Räume, z.B. Treffpunkte spezieller Interessensgruppen) herzustellen.

Vorbereitend und als Einführung in die Thematik wurde der öffentliche Raum im Bereich des Kölner Hauptbahnhofes auf seine unterschiedlichen Nutzungen und die Funktionsweise der damit verbundenen architektonischen und städtebaulichen Räume untersucht. Besonderes Augenmerk galt hierbei den Möglichkeiten der Aneignung der Räume für den Nutzer und der Art der Angebote, die die Aktivitäten im öffentlichen Raum bestimmen. Es fällt besonders auf, daß der Bereich der in den frühen 70-iger Jahren errichteten Domplatte mit seiner robusten Einfachheit nur über eine geringe Spezialisierung verfügt. Das Angebot ist einfach und eindeutig. Die Platte mit ihren terrassierten Stadtbalkonen umschreibt mögliche Treffpunkte mit einfachsten architektonischen Mitteln und überläßt so eine Definition des Ortes vor allem dem sich frei bewegenden Nutzer bzw. Bürger.

Im Gegensatz dazu wird der Passant in den Ende der 90-iger Jahren eröffneten Bahnhofspassagen ganz gezielt und gerichtet durch die Ladengänge geleitet. Der öffentliche Raum zeichnet sich hier aus durch eine Vielzahl spezieller Angebote, die fast ausschließlich konsumiert und bezahlt werden müssen. Der räumliche Aufbau erfolgt eher in der Logik eines Supermarktes. Die Unterschiedlichkeit der planerischen Mittel - das Einfache, für jeden erschwingliche Angebot auf der einen, die ausgetüftelte Konsummaschine auf der anderen Seite - weist deutlich auf den gesellschaftlichen Wandel hin, der sich von den siebziger Jahren bis heute vollzogen hat. Der öffentliche Raum ist nicht mehr für jeden zugänglich, er ist zugeschnitten auf eine - wenn auch möglichst breite - Kundschaft, die unter anderem die Finanzierung des Gemeinschaftsraumes gewährleistet, der nicht mehr oder nur verdeckt von öffentlichen Kassen getragen wird. Die mit der Spezialisierung des Öffentlichen einhergehende Verdrängung wird noch zusätzlich durch ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis verstärkt. Die Architektur ist bis ins Detail (z.B. Klappsitze) darauf zugeschnitten.

Über den Vergleich der beiden analysierten Ordnungssysteme wurde im weiteren nach der Möglichkeit eines "dritten Raumes" gesucht. Es wurden Strategien entwickelt, diesen an der Schnittstelle der beiden bereits vorhandenen Räume zu installieren, den Ort um weitere Möglichkeiten zu bereichern, Störungen und neue Geschwindigkeiten, ein "drittes Tempo" einzuführen. Dieser "dritte Raum" wurde demnach als jener Zwischenraum identifiziert, in dem eine Repolitisierung ansetzen kann. Im Bezug auf die Eingangs formulierte These also, wurde hier der Versuch unternommen, eine neue (operative) Form in einen vorhandenen Kontext einzuführen.

Getarnte Aktion

Unser tagelanger Aufenthalt auf der bei Obdachlosen und Punkern (Vertretern des "zweiten Tempos"= Leute, die den ganzen Tag dort abhängen) sehr beliebten Treppe (Platte) vor dem Kölner Hauptbahnhof führte uns zu der Entscheidung, als "getarnte Aktion" zwei alte Bänke vor und im Bahnhof aufzustellen, um auf die Notwendigkeit dieses "dritten Tempos" (für Leute, die eine mittlere Verschnaufpause einlegen wollen) hinzuweisen.

Als Ort für die "getarnte Aktion" wählten wir daher den ehemaligen Blumenladen am Haupteingang des Kölner Hauptbahnhofs, von dem nur noch dessen Fundament, eingefaßt mit einem Holzgeländer, übriggeblieben ist.

Dafür sprach zum einen, daß sich die eine Hälfte des Fundaments auf dem Bahnhofsvorplatz und die andere in der Bahnhofshalle - jetzt getrennt durch die Bahnhofsglasfassade - befindet, wodurch - nicht zuletzt durch die Spiegelung - das Verhältnis von privatem und öffentlichem Raum thematisiert werden konnte: schreitet der Bahnhofswachschutz ein oder die Polizei, welche Bank wird mehr benutzt, welche bleibt länger stehen ...

Zum anderen zeichnet sich der Kölner - wie alle anderen neu gestalteten Bahnhöfe auch - durch das Fehlen von unentgeltlichen Sitzgelegenheiten aus. Ein wesentliches Kennzeichen öffentlicher Räume ist aber das Wahrnehmenkönnen des Anderen, der bzw. das sich auch am selben Ort aufhält. Wer nur noch eilt oder selbstbezogen kauft (Vertreter des "erstenTempos"), womöglich mit Handy im Ohr, nimmt den oder das andere nicht mehr wahr und beschränkt sich auf seine Welt. Das eingefaßte Fundament des Blumenladens sollte ein Ort für Entschleunigung, ein Ort des Verweilens und der Wahrnehmung werden.

Die Wahl, eine Sitzbank innen und eine Sitzbank außen in diesen abgesperrten Raum zu stellen, fiel in Diskussion mit den Workshopteilnehmerinnen. Entscheidend war auch ein (noch nicht eingelöstes) Wahlversprechen des neu gewählten Kölner Oberbürgermeisters: 900 neue Bänke für Köln. Das Museum für Angewandte Kunst erhielt vom Gartenbauamt zwei alte ausrangierte Bänke, die von uns mit Schildern versehen wurden: Bänke für Köln 1/900 und ...2/900. Dieser (einzige) Hinweis auf der Bank legt die Spur zur Lokalpolitik. Ziel ist es, in den lokalpolitischen Diskurs einzugreifen und ihn in Erklärungsnotstand zu bringen: der schlechte Zustand der Bänke, sowie der quasi abgesperrte Standort konterkarieren und erinnern zugleich an das Wahlversprechen.

Nachdem wir sie aufgestellt hatten, wurden sie von uns (Workshop-Leitern wie-Teilnehmern) erstbesetzt und dann - sang- und klanglos - der Öffentlichkeit übergeben.

Angetäuschte Bildbilanz

Die Grenze zwischen Kunst und Leben aufzulösen, ist einer der stärksten Impulse, die seit einiger Zeit das Gesicht der Kunstszene prägen. Und doch ist der Kunstkontext immer noch das alles stützende Rückgrat, das die sich ans Leben angleichende Kunst im Zustand der "Tarnung" hält. Die Malerei allerdings gilt als statisches Medium, dessen Fähigkeit, soziale Dynamiken oder politische Handlungen sichtbar werden zu lassen, begrenzt erscheint. Die Möglichkeit, diesen Widerspruch innerhalb der Malerei in einer besonderen Form zu bearbeiten, bietet sich im Kontext des Workshops "Politische Landschaft" über die Einführung der Achse "Aktion - Darstellung". Auf ihr läßt sich das Spannungsfeld zwischen "politischem Handeln" und dem Gegenwärtigmachen von Erfahrenem, Konstruiertem und Gefundenem in der Malerei ausloten. Auf dieser Achse bildet sich ein Spielfeld, auf dem der Trick des "Antäuschens" zur Metapher für einen spielerischen Wechsel zwischen Ortsbegehungen, sozialen Begegnungen und malereiimmanenten Entscheidungen wird.

In der letzten Phase des Workshops entstand nun ein großes Gemeinschaftsbild, das die Ergebnisse der "Operativen Analyse" und der "Getarnten Aktion" dem malerischen Prozess anverwandelte. Ausgangspunkt dieses mehrteiligen Tableaus war die spielerische Entwicklung einer Zeichensprache, die sich ebenfalls aus einem gemeinschaftlichen Bildfindungsprozess ergab. Die Methode dieser Bildfindung basierte auf einem altbekannten, simplen Trick, um kreative Potentiale anzuzapfen: der automatischen Zeichnung. In Zweiergruppen aufgeteilt war jeder Teilnehmer aufgefordert, einmal die Geschichte seiner Wahrnehmung der "Getarnten Aktion" zu erzählen und einmal die Geschichte des anderen schnell und ohne auf Stil und Form zu achten aufzuzeichnen. Die Mittel waren ebenso simpel wie die Methode, nur Notizzettel und Marker waren zur Hand. Schlußstein des spielerischen Zeichenprozesses bildete die Aufzeichnung des alles zusammenbindenden Lieblingsbegriffs jedes Einzelnen, der das Tableau um gestaltete Begriffe bereichern sollte. Aus einer Unzahl von Zetteln wurden von allen Beteiligten die vierundzwanzig beliebtesten Zeichen ausgewählt. Der gemeinsame Malereiprozess wurde zur meditativen Aktion - so wie der automatische Zeichenprozess Ausdruck hoher Konzentration war. Projiziert und vergrößert mit schwarzer Farbe auf Leinwände kopiert, ergab sich aus dieser "Schattensprache" innerhalb kurzer Zeit das angestrebte vielteilige Gemeinschaftsbild. Angetäuscht wurde also in mehrfachen Spielwechseln und die Eindeutigkeit einer Urheberschaft ist keineswegs mehr auszumachen.

Das Abschreiten der Achse "Aktion - Darstellung" erzeugte in diesem Zusammenhang eine bildnerische Lösung, die ihren zunächst implizierten Werkcharakter verlor, da dieses Werk niemandem zugeschrieben werden kann und damit anonym wurde. Dem Prozesshaften seiner Entstehung muß somit ein stärkeres Gewicht zugewiesen werden als dem realen Tableau an der Wand des Museums. Im Kontext eines weiter gefaßten malereiimmanenten Denkansatzes führt uns diese bildnerische Lösung daher zu der Erkenntnis, daß trashige Spontanmethoden nicht nur anonymer Ausdruck der Dokumentation einer "Getarnten Aktion" sein können, die u.a. die Einführung eines "dritten Tempos" in den "repolitisierten Zwischenraum" - den sogenannten "slow space" - thematisiert. Diese Methoden können vielmehr zukünftig auch als neue Werkzeuge auf andere Orte und Situationen angewendet werden, die nicht nur aneignend, sondern auch beobachtend wahrgenommen werden und deren Darstellung letztendlich den "slow space" in doppelter Weise reflektiert: zum einen den Ort selbst als einen "Ort in der Schwebe" und zum anderen die Malerei als den grundsätzlichen und eigentlichen "Ort in der Schwebe", der immer schon ein "slow space" war.

Fazit

Das Ergebnis dieses Dreier-Schrittes im Workshop "Politische Landschaft" läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Exemplarisch für eine allgemeine Entwicklung stadtplanerischer Entscheidungen für Bauvorhaben im öffentlichen Raum ist die Analyse des Kölner Hauptbahnhofs die Voraussetzung für die Erkenntnis, daß die Notwendigkeit, "dritte Räume" zu entdecken und ins öffentliche Bewußtsein zu bringen, mit den Mitteln von Aktionen, aber auch mit anderen - eher klassischen künstlerischen Mitteln - , angesichts des wachsenden Kapitaldrucks zur Aufgabe werden kann.