"ES GRÜNT SO GRÜN...", Katalog zur gleichnamigen Ausstellung,
mit Beiträgen von Olaf Nicolai, Mathew McCaslin,
Carsten Höller, Lois Weinberger, u.a.
Bonner Kunstverein, 1998

Bittermann & Duka


DIE DRITTE KAMMER - RAUSCHEN

Der Aquarist

DAS BETT DER ELTERN
Der subversive Raum des Intimen, der sich geschickt dem Zugriff des Öffentlichen entzieht, ist sprachlos mächtig, aber unvermittelbar. Ähnlich dem "Bett der Eltern" läßt sich im "hintersten Winkel des Gartens" wie auch in der "Welt im Glase", dem heimischen Aquarium, so eine intime, öffentlich schwer zu vereinnahmende Spielfläche erblicken, an der sich darum Phantasien entzünden. Die Malerei ist ein Medium, das diesen tabuisierten Orten ihre öffentliche Würde verleihen kann, ohne die aus ihnen hervorwachsenden Phantasien zu verraten.

MURÄNENPERSPEKTIVE
In jedem Garten - so auch im Unterwassergarten - werden Raum-Zeiteinheiten neu formatiert, werden traumbildende Maßnahmen ergriffen. Das Aquarium ist Projektionsfläche für Südseeträume und Schatzsuche, für die Sehnsucht nach dem Abtauchen ins Unbewußte, für ein Leben aus der Muränenperspektive. Der Blick ins Sprudelbad gerät in den Sog einer nie ermüdenden "Wunschmaschine". Es erfrischt den Geist wie eine brisante Talkshow, hypnotisiert das Auge wie ein laufender Monitor. Der aufsteigende Sauerstoff verleiht Gedanken den notwendigen Auftrieb. Die wiegenden Bewegungen der Wasserpflanzen lassen den Blick vor der Glasscheibe verschwimmen - Zeichen der Entspannung und des Hinabtaumelns in das körpereigene Bildarchiv. Das Aquarium als kleinster gemeinsamer Nenner aller Gartengedanken vereint alle Regeln des Gestalterischen in sich und ist doch der Inbegriff von Kleinbürgeridylle.

ELEGANTE UNORDNUNG
Wir ergreifen das wogende Wohnzimmergemälde als Metapher, die den alten, unliebsamen Entwurf des Pittoresken mit der gläsernen Hülle eines aktuellen Naturbezugs versieht. Mit dem künstlerischen Verweis auf das Pittoreske eröffnet sich uns ein Handlungsterrain, dem wir mit der Thematisierung des "tabuisierten Intimen" gedankliche Frischluft zuführen. Der Bedeutungsurprung des Begriffs des Pittoresken liegt im frühen 18. Jahrhundert und definiert am Anfang sowohl das Bildhafte, das Ausschnitthafte eines Bildes, als auch das effektvoll komponierte Malerische. Das Wort entwickelt sich zunächst aus dem reinen Malereizusammenhang, wird dann auf den Landschaftsgarten und dessen widersprüchliche Stimmungen übertragen, um mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert so allgemein ästhetische Kategorien wie "elegante Unordnung" oder "anmutige Nachlässigkeit" zu beschreiben.

RUFMORD
Die heutige Gleichsetzung des "Pittoresken" mit dem Begriff des "Kitsches" resultiert aus der Entscheidung der Geschichte, das Pittoreske intellektuell auszugrenzen und es mit solch negativen Eigenschaften wie "Sentimentalität", Realitätsflucht" und "Verspieltheit" zu belegen. Überlebt haben pittoreske Elemente z. B. im Film, im Comic und in Computerspielen. Auch die Produktwerbung hat sich in dem jetzt weltumspannenden Mono-System des Kapitalismus großflächig vieler pittoresker Stimmungsbilder bemächtigt. Diese historisch oft mißbrauchte und deshalb von der Kunst preisgegebene Formensprache wurde so Opfer der alles bestimmenden Körper -Geist– Dichotomie unserer Epoche. Die rufmordenden Gefahren des Sinnlichen brachten viele Künstler zu der Entscheidung, sich der Seite des Geistes und der Reflexion anzuschließen. Und das nicht zuletzt, weil das Pittoreske in allen revolutionären Phasen Europas als reaktionär eingeschätzt wurde. Unter kommunistischer Herrschaft degenerierten dann einige seiner Elemente paradoxerweise sogar zur Staats-Propaganda.

WACKELKONTAKT
Seitdem emigrierte das Sinnliche in die Abstraktion. In der gegenständlichen Malerei, dem ureigensten Feld des Pittoresken, übernehmen heute die Photographie und das rechnermanipulierte Bild mit ihren abgekühlten Oberflächen so wesentliche Darstellungskoordinaten, daß dieser Sparte der Malerei kaum Raum für eine direkte Anschaulichkeit des Natürlichen bleibt. Gerade deshalb reizt es, über die Festsetzung dieser Koordinaten hinaus, ein bildnerisches Angebot zu liefern, das dem Pittoresken - mit allen erkennbaren zeitgemäßen Referenzen - eine Neueinschätzung ermöglicht - und das nicht nur aus sicherer ironischer Distanz oder mit dem obligaten intellektuellen Wackelkontakt im Blick.